Menschen mit Diabetes sind in deutschen Krankenhäusern unterversorgt. Nur etwa jede 5. Klinik in Deutschland verfügt über eine ausreichende diabetologische Expertise. Die rund 3 Millionen Diabetespatientinnen und -patienten, die jährlich eine stationäre Versorgung benötigen, erhalten meist keine ausreichende therapeutische Begleitung hinsichtlich ihrer Stoffwechselerkrankung. Das kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Grund für die Mangelversorgung sind strukturelle und finanzielle Gründe. Die Krankenhausreform versprach durch die Entkommerzialisierung und den Abbau der Fallpauschalen Abhilfe. „Doch aus der im Dezember 2022 groß angekündigten Revolution im Krankenhauswesen und dem Versprechen, die Fallpauschalen endlich abzuschaffen, ist ein ‚Reförmchen‘ geworden, um das nun bitter gerungen wird – zu Lasten der Menschen mit Diabetes und der Teams in den Kliniken“, kritisieren die DDG Experten die aktuelle Entwicklung. Die Notwendigkeit einer Lösung weckt jedoch Hoffnungen, dass dringende Verbesserungen an der Reform noch folgen werden – einschließlich einer längst überfälligen Stärkung der Diabetesversorgung.
Viele Leistungen der diabetologischen Behandlung werden im diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG)-Katalog nicht berücksichtigt oder vernachlässigt. Infolgedessen werden diese Maßnahmen im jetzigen Gesundheitssystem nur unzureichend oder gar nicht vergütet. „Dabei ist eine solide finanzielle Basis entscheidend, um die dringend benötigte Expertise und eine tragfähige Versorgung für etwa jeden 5. Patienten im Krankenhaus aufrechtzuerhalten“, so DDG Präsident Professor Dr. med. Andreas Fritsche. „Ohne eine adäquate, individuell angepasste Diabetestherapie, die durch qualifiziertes Fachpersonal gewährleistet wird, drohen den Betroffenen große gesundheitliche Schäden. Das wiederum hat negativen Einfluss auf die Liegedauer im Krankenhaus sowie die Behandlungsergebnisse und damit auch auf die allgemeine Volkswirtschaft.“
Die Krankenhausreform droht zu einem bürokratischen Alptraum zu werden
Mit der Krankenhausreform wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Krankenhäusern wieder eine Perspektive geben. Doch die angekündigte „Revolution“ entpuppt sich als Reinfall für Fächer wie die Diabetologie, die mit der Neustrukturierung eigentlich auf eine Neuordnung notwendiger Leistungen im Krankenhaus hofften. „Fächer der Sprechenden Medizin wie die Diabetologie waren finanziell benachteiligt und werden es weiterhin sein, wenn das Bundesgesundheitsministerium die Existenz von Diabetespatienten im Krankenhaus nach wie vor leugnet“, kritisiert Fritsche. Die Krankenhausreform sieht als Neuerung eine Einführung von Leistungsgruppen und Vorhaltepauschalen vor, die künftig mindestens 60 Prozent der Krankenhausfinanzierung ausmachen sollen – jedoch auf Basis der bereits bestehenden DRGs berechnet werden. Die restlichen 40 Prozent der Krankenhausfinanzierung bleiben davon in der bestehenden Fallpauschalenvergütung unberührt. Dem Experten ist daher unklar, wo die angekündigte Entbürokratisierung stattfindet, wenn zukünftig tatsächlich Doppelstrukturen existieren sollen (Krankenhaustransparenzgesetz), die alles noch komplizierter machen.
Warum „Diabetes Units“ Leben retten können
Jede klinische medizinische Maßnahme erfordert eine differenzierte Anpassung der antidiabetischen Therapie. „Jede OP, jede akute Erkrankung schlägt sich auf den Glukosestoffwechsel nieder. Um Komplikationen zu verhindern, ist ein spezifisches diabetologisches Fachwissen erforderlich. Das kann am besten von Diabetes Units geleistet werden“, erklärt DDG Mediensprecher Professor Dr med. Baptist Gallwitz. Besonders kritisch werde es, wenn im Zuge einer stationären Aufnahme die technischen Hilfsmittel wie Insulinpumpe oder CGM-Systeme vom Klinikpersonal – aus Unkenntnis – abgeschaltet werden und durch eine unzureichende Insulintherapie ersetzt wird. „Das ist leider kein Einzelfall, sondern spiegelt die tägliche Versorgungswirklichkeit wider“, ergänzt Gallwitz. „Es ist wahrscheinlicher, im Krankenhaus eine lebensbedrohliche Unterzuckerung zu haben, als im häuslichen Umfeld. Ein erschreckendes und inakzeptables Ergebnis!“ Fritsche ergänzt: „Wir fordern daher, dass eine qualifizierte, dem Versorgungslevel angepasste Diabetesexpertise in allen Krankenhäusern vorgehalten wird. Denn viele Patienten kommen nicht wegen, sondern mit ihrem Diabetes in eine Klinik: Menschen mit Diabetes werden auch mit einem Herzinfarkt, wegen einer Hüft-OP oder Krebserkrankung eingewiesen. Ihr Diabetes als Nebenerkrankung muss dabei zwingend mitbehandelt werden, denn ihre Prognose und Genesung hängt auch maßgeblich von ihrer Stoffwechsellage ab.“
Beide Experten befürchten, dass die Diabetesversorgung in der Breite – also in mittleren und kleineren Krankenhäusern – durch die Umstrukturierung weiter vernachlässigt wird und letztlich die Betroffenen die Leidtragenden sein werden. So sei nicht gewährleistet, dass jede Klinik auch eine speziell diabetologische Expertise aufweist, kritisieren Fritsche und Gallwitz. Die Reform dürfe nicht nur die akute invasive Notfalltherapie wie Herzkatheter und Stroke Units im Blick haben und die Diabetologie weiter finanziell, personell und ideell ausbluten lassen, mahnt Fritsche. „In Anbetracht der steigenden Diabeteserkrankungen muss die Diabetologie in Krankenhäusern vielmehr gestärkt werden, indem sie mithilfe von multiprofessionellen Teams in sogenannten Diabetes Units organisiert wird und so bessere und sichere Behandlungsergebnisse hervorbringt.“ Auf keinen Fall dürfe es zu einem Verlust von therapeutischen Teams und damit den vielfältigen Versorgungsmöglichkeiten in der stationären Versorgung kommen. Die Ärzteschaft und die Angehörigen der Gesundheitsberufe appellieren an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Landesregierungen, schnell zu einem tragfähigen Gesetzesentwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) zu kommen, der auf allen Versorgungsebenen die Patientensicherheit chronisch kranker und multimorbider Patienten im Blick hat.
Pressemitteilung DDG