Adipositas bei Kindern und Jugendlichen vorurteilsfrei und individualisiert behandeln.
Berlin – Starkes Übergewicht oder Adipositas ist einer der wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren für die Entstehung von Diabetes Typ 2. Adipositas oder auch starkes Übergewicht entwickelt sich bei Betroffenen häufig schon im Kindes- und Jugendalter. Vor 2020 war in Deutschland jedes siebte Kind adipös – eine Tendenz, die jetzt seit 2020 mit Auswirkungen der Coronapandemie weiter zugenommen hat: Einerepräsentative Forsa-Umfrage der Adipositas-Gesellschaft (DAG) und des Else Kröner-Fresenius-Zentrum (EKFZ) für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München zeigte, dass jedes sechste Kind in Deutschland zunahm, fast die Hälfte bewegte sich weniger als zuvor und etwa ein Viertel isst mehr Süßwaren (1). Expertinnen und Experten rechnen in den nächsten Jahrzehnten mit einem weiteren Anstieg an Diabetes-Fällen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) betont den Stellenwert von Prävention und setzt sich verstärkt für eine Entstigmatisierung nichtübertragbarer Krankheiten wie Adipositas und Diabetes Typ 2 ein.
Während der Coronapandemie haben 39 Prozent der Deutschen im Durchschnitt 5,6 Kilogramm zugenommen, bei Menschen mit Adipositas waren es sogar 7,2 Kilogramm (2). „Bundesweit sind 800.000 Kinder und Jugendliche an Adipositas erkrankt, davon ca. 100.000 Jugendliche mit extremer Adipositas“, sagt Professor Dr. med. Martin Wabitsch, Leiter der Abteilung Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie und des endokrinologischen Forschungslabors an der Universitätsklinik für Kinder und Jugendmedizin Ulm. Er ergänzt: „Ein beträchtlicher Teil der Jugendlichen mit extremer Adipositas hat bereits eine gestörte Glukosetoleranz.“ Aktuell behandelt der Kinderdiabetologe und -endokrinologe in seiner Sprechstunde eine 15-jährige Patientin mit Adipositas, die bereits an einem Typ-2-Diabetes erkrankt ist.
„Unsere heutigen Lebensbedingungen – mit Bewegungsarmut und mit einem stets verfügbaren Überangebot an kalorienreicher Nahrung - spielen bei der Entstehung von Adipositas eine große Rolle“, erklärt Wabitsch. Heute ist allerdings auch bekannt, dass die Betroffenen eine genetische Veranlagung für Adipositas aufweisen: „Wir entdecken immer wieder neue Gene und Genvarianten, die das Körpergewicht unter den gegebenen Lebensbedingungen beeinflussen.“ Bei etwa jedem fünften Kind mit starkem Übergewicht liege eine Gen-Variante im Erbgut vor, der für eine Fehlfunktion der Hunger- oder Sättigungsregulation im Gehirn verantwortlich sei. „Diese jungen Betroffenen entwickeln schon im Vorschulalter Adipositas“, erzählt Wabitsch. Bei ihnen zeigen verhaltenstherapeutische Ansätze ohne weitere Behandlung ein nicht befriedigendes Ergebnis bezüglich der Gewichtskontrolle.
Seit kurzem ist für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren auch das Medikament Liraglutid, das bereits bei Erwachsenen zur Therapie des Typ-2-Diabetes und Adipositas eingesetzt wird, zur Behandlung zugelassen. Liraglutid gehört zur Medikamentenklasse der sogenannten Inkretinmimetika oder GLP-1 Rezeptoragonisten. „Dieses Medikament ahmt die sättigende Wirkung des Darmhormons GLP-1 nach und wirkt gut in Kombination mit einer Lebensstilanpassung, also mehr Bewegung und einer Ernährungsumstellung“, erklärt Wabitsch. „Die jungen Patientinnen und Patienten empfinden bei dieser kombinierten Therapie zum ersten Mal Sättigung statt Dauerhunger – ein völlig neues Lebensgefühl.“ Das noch neue Wissen über die genetischen Ursachen der Adipositas und auch die Wirkung neuer Medikamente trage dazu bei, Betroffene und ihre Familien psychisch zu entlasten. „Wir müssen die Erkrankung Adipositas in der Gesellschaft, aber auch im medizinischen System zu entstigmatisieren“, betont Wabitsch. Dazu könne auch das neue Disease-Management-Programm Adipositas beitragen, das derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erarbeitet werde. Es gebe bereits Überlegungen, nach dessen Zulassung auch ein eigenes strukturiertes Behandlungsprogramm für Kinder und Jugendliche mit Adipositas zu konzipieren. Dadurch wird Adipositas als Krankheit anerkannt und Kinder und Jugendliche eine Behandlung nach den Evidenz-basierten Leitlinien (https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/050-002.html) eine Behandlung ermöglicht.
Quelle: Pressemeldung DDG
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